Flaschenpost an meinen Neffen – in Auszügen

An dem Tag, als du als kleines Baby zur Welt gekommen bist, wurde auch das innere Kind deiner 25-jährigen Tante wieder erweckt. Ich war gerade mit Freunden an der Ostsee und wegen des Meers vorfreudig wie beim ersten Mal. Der Geruch, der Wind, das Wasser, der unendlich weite Horizont, das Gefühl von Freiheit, Ruhe. Nirgendwo sonst habe ich so sehr das Gefühl, neue Welten und gleichzeitig ein Zuhause zu finden. Ich wünsche dir, dass du dieses Gefühl auch erleben darfst und bin mir ziemlich sicher, dass du es gerade jeden Tag tust. Denn auch du entdeckst gerade die Welt und dein Zuhause.

Nicht nur ich wurde am Strand zum Kind. Wir alle alberten herum und es ist einfach wunderschön, Freunde zu haben, mit denen man das machen kann, denen ich mein inneres Kind anvertrauen kann, bei denen ich ich selbst sein kann. Ich wünsche dir von ganzem Herzen Menschen in deinem Leben, mit denen du dein ganzes Leben lang Kind sein kannst. Lass dir das Kind in dir nie nehmen. Und wenn dich jemand albern oder kindisch nennt, dann nimm es als Kompliment! Ich verspreche dir, dass ich deinem inneren Kind immer Platz geben werde. Und du wirst auch meines kennenlernen.

(…)

An dem Tag, als dein großer Bruder geboren wurde, vor fast drei Jahren, war ich gerade in Hamburg, um nach einer Wohnung zu suchen. Es war ein schöner Tag gewesen, mein erster Tag in Hamburg, der mir diese wundervolle Stadt näher brachte. Auch an diesem Tag hatte ich das Gefühl, eine neue Welt und zugleich ein Zuhause gefunden zu haben. An dem Tag, als dein Bruder geboren wurde, schien die Sonne in Hamburg, an deinem Geburtstag regnete es an der Ostsee. Aber beide Tage waren wunderschön, genau so, wie sie waren. Genauso wie ihr beide wunderbar seid.

Zu dem Zeitpunkt, als du geboren wurdest, stand ich mit meinen besten Freunden im Wald an der Steilküste, wo wir uns vor dem Regen versteckten und belegte Brötchen aßen und uns dabei wie Abenteurer fühlten. Dass ich zum Zeitpunkt deiner Geburt mit meinen liebsten Freunden zusammen war, ist auch wegen deines Namens etwas Besonderes. Dein Name Lewin kommt vom althochdeutschen Namen Liebwin oder Lebuin, der sich aus den Wörtern „liob“ („lieb“) und „wini“ („Freund“) zusammensetzt. Ein lieber Freund also. Häufiger als „Lewin“ ist die niederdeutsche Variante „Levin“, die auch meine lieben Freunde sofort im Kopf hatten, als ich ihnen von dir erzählte, als wir dort im niederdeutschen Norden im italienischen Eiscafé an der Ostsee saßen und ich die Nachricht deiner Geburt bekam. Ich freue mich sehr, dich in unserem Kreis der lieben Freunde begrüßen zu dürfen.

(…)

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar, wie viel Kind tatsächlich in dem gestrigen Tag steckte. Und für vieles bist du verantwortlich und dafür danke ich dir. Du hast den gestrigen wunderschönen Tag zu einem ganz besonderen Tag gemacht. Du hast der Welt einen lieben Freund geschenkt und ich kann es gar nicht abwarten, dich bald kennenzulernen. Auch wenn uns fast tausend Kilometer trennen, sind wir uns doch näher, als wir denken. Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man das Gefühl von Heimat, Zuhause, Familie und Freundschaft überall finden kann. Solange man sein inneres Kind immer im Gepäck hat. Und seit gestern trage ich auch dich immer mit mir.

Herzlich willkommen auf der Welt, Lewin, mein lieber Freund!

Ich hab dich lieb.

Deine Tante Berni

5 Gedanken zu “Flaschenpost an meinen Neffen – in Auszügen

Hinterlasse einen Kommentar